Als Bergsteiger in den Bayerischen und Tiroler Alpen betrachtet
man die Kreuze, die auf den allermeisten Gipfeln zu finden sind,
in der Regel als Selbstverständlichkeit. Ihr Fehlen verwundert schon
einmal, aber Gedanken über ihren Sinn und Zweck geschweige denn
über ihr Entstehung machen sich wohl die wenigsten. Der Eintrag
ins Gipfelbuch, gehört dazu, mancher lässt sich auch heute dabei
noch zu poetischen Ergüssen hinreißen, in der Regel bleibt es jedoch
bei Name und Wohnort - eine schlichte Dokumentation des eigenen
Erfolges.
Dieses aufwendig gemachte Büchlein stellt die Selbstverständlichkeit
der Gipfelkreuze in Frage, indem es versucht, die Hintergründe dieser
Tradition - die ja keineswegs für die Berge der Welt, ja nicht einmal
für die gesamten Alpen zutrifft - zu beleuchten. Nach einer kurzen,
etwas überspannten, mystifizierten Betrachtung über Sinn und Wesen
der Berge, beschäftigt sich der ausführliche erste Teil mit der
Bedeutung der Kreuzaufstellung in den Bergen: Von den Flurkreuzen,
die immer höher wanderten, über die Wetterkreuze, die Almen und
Vieh vor Unwetter schützen sollten, wird der Bogen gespannt zu den
Gipfelkreuzen. Dem ursprünglich religiösen Motiv gesellen sich im
Lauf der Zeit andere Gründe dazu: Stolz auf die vollbrachte Leistung,
Demonstration von Heldentum, aber auch gerade zu Anfangszeiten des
Alpinismus der Versuch, sich vor Gott zu rechtfertigen und ihn wegen
des Vordringens in bisher unangetastete Höhen milde zu stimmen.
Diese Geschichte der Gipfelkreuze ist interessant und bringt dem
Leser einige neue, teils überraschende, teils eigentlich naheliegende
Erkenntnisse.
Die Bedeutung des spezifisch christlichen kulturellen Hintergrundes
wird deutlich. Recht ausführlich geht die Autorin auf die sich wandelnde
religiöse Bedeutung der Gipfelkreuze ein. Diese Betrachtungen sind
teilweise etwas undifferenziert und wenig eindeutig. Die religiöse
Dimension wird stark in den Vordergrund geschoben, andere Motive
unterschwellig verurteilt, obwohl sie im Laufe der Zeit immer mehr
an Bedeutung gewonnen haben dürften. Den groben Abriss sich wandelnder
Gottesbilder hätte man sich in diesem Zusammenhang auch sparen können;
der Versuch, Religionsgeschichte zu interpretieren sprengt den Rahmen
und wirkt unangemessen.
Kurz beschäftigt sich der erste Teil dann noch mit der Tradition
der Gipfelbücher, die anfangs hauptsächlich Tourenbeschreibungen
enthielten. Der Weiterentwicklung dieses Brauchs ist dann der zweite,
größere Teil des Buches gewidmet., der - unkommentiert - eine bunte
Sammlung von Sprüchen, Gedichten, Weisheiten und anderen Einträgen
aus einem Jahrhundert enthält. Der Schwerpunkt liegt dabei bei Eintragungen
aus der Nachkriegszeit, in der die meisten Gipfelbücher gefüllt
wurden. Hier findet sich viel Lustiges, auch Einiges zum Nachdenken
und so manche Kuriosität. Ein Büchlein zum Blättern und Schmökern
für alle, die Volks- und Alltagskultur etwas abgewinnen können und
die konzentrierte Sammlung von Originellem den Einzelentdeckungen
der Originale vorziehen. Hervorheben muss man noch die vielen schönen
Bilder von Gipfelkreuzen, die manch bekannten Gipfel in neuem Licht
erscheinen lassen.
(Sabine Kohwagner)